ART PROFIL HEFT 3 / 9.JAHRGANG 2003

                                                                    

Ein dialogischer Prozess mit dem Betrachter und mit dem eigenen Schaffen

Viorel Chirea und seine Bilder

Der Maler Viorel Chirea wurde im Jahr 1960 in Rumänien geboren. Er besuchte dort ein Gymnasium für künstlerisch hochbegabte Schüler. Damit war sein beruflicher Entwicklungsweg vorgezeichnet. Nach dem Abitur studierte er an der Kunstakademie in Bukarest und wurde schließlich in den Berufsverband der Bildenden Künstler Rumäniens aufgenommen. Diese Mitgliedschaft war im damaligen Rumänien unabdingbar, um überhaupt als Künstler anerkannt zu werden, öffentliche Aufträge zu erhalten und an großen Kunstausstellungen teilnehmen zu können.

Chireas Werke waren ab Mitte der 80er Jahre bei landesweiten Ausstellungen zu sehen. Durch diesen Ausweis der künstlerischen Qualität gehörte er zur künstlerischen Elite jenes Landes. Sein Schaffen wurden von der Kunstkritik wahrgenommen. Er fand Eingang in staatliche Kunstsammlungen und Museen.

Nach der Revolution von 1989 kehrte Viorel Chirea Rumänien den Rücken und ließ sich in Deutschland nieder. Heute lebt der Künstler in Aachen. Sein  jetziges Atelier beherbergte einst eine international bekannte Kunstgalerie. Das Prädikatssiegel, die gesprayte Banane, zeugt davon wie angesehen diese Galerie im schnelllebigen Kunstgeschäft einst gewesen ist. Aber auch Chireas Schaffen hat eine gesprayte Banane verdient und so steht das Prädikatssiegel auch nach dem Auszug der Galerie, zu Recht am Eingangsportal.

Viorel Chirea gelang es relativ rasch, in seiner neuen Heimat Fuß zu fassen und sich an die weitaus komplizierteren Bedingungen der westlichen Wirtschaft und der Kunstvermarktung zu gewöhnen.  Unvorstellbar, wenn man sich die unsichere Situation der meisten Kunstschaffenden im Westen vor Augen hält. In Rumänien hatte der Künstler gegenüber seinen Kollegen in anderen Ostblockländern noch zusätzlich den Vorteil, dass es relativ frei von staatlicher Bevormundung arbeiten konnte. Es gab keine Kunstdiktatur wie in der DDR, wo sich der Künstler an den „Sozialistischen Realismus“ zu halten hatte. Die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Kunst wurden nicht sanktioniert. Es gab Abstrakte, Informelle und Avantgardisten, denn Rumänien war trotz der wirtschaftlichen Armut ein kulturell hoch entwickeltes Land, das auf eine reiche künstlerische Vergangenheit zurückblicken konnte. Die kulturelle Verbindung zu den romanischen Ländern, vor allem zu Frankreich, und die außenpolitische Offenheit dem Westen gegenüber, machte es möglich, dass die Künstler, sofern sie sich nicht gegen die Staatsideologie auflehnten, größere Entfaltungsspielräume besaßen.

Die rumänischen Kulturschaffenden konnten verhältnismäßig leicht in westlichen Ländern ausreisen und dort ihre Erfahrungen sammeln. So kam es, dass für die meisten Künstler jenes Landes die Revolution von 1989 nicht unbedingt mit einem stilistischen Neuanfang gleichzusetzen ist. Dies war auch bei Viorel Chirea nicht der Fall.

Obwohl er sich in dieser Hinsicht treu geblieben ist, hatten allerdings die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Kunstproduktion im Westen einen unmittelbaren Einfluss auf sein Schaffen. Dieser Einfluss wird offensichtlich, wenn man sich Chireas künstlerische Vita genauer anschaut. Zwischen 1990 und 2000 stellte er nur noch sehr selten aus. Er arbeitete in dieser Zeit hauptsächlich als Graphiker, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Erst Ende der 90er Jahre trat er wieder mit eigenen Bildern hervor. Im Jahr 2001 zeigte die Galerie Laïk in Koblenz in einer Einzelausstellung seine Werke. Durch diese renommierte Galerie war er auch auf internationalen Kunstmessen vertreten. Bei meinem Besuch in Aachen bereitete Chirea gerade eine Ausstellung in der Schweiz vor.

Inhaltlich sind Chireas Bilder vieldeutig und deshalb schwer zu interpretieren. Konstituierend ist dabei der dialogische Prozess, durch den er sich immer wieder auf  sein bisheriges Schaffen bezieht. Dies wird vor allem in seinen jüngsten Werken offensichtlich. Er begnügt sich dabei nicht mit einem einmal erreichten Zustand, sondern überarbeitet Bilder immer wieder.

So zieht sich der Malprozess an einem Werk manchmal über Wochen und Monate hin. „Ich werde mit einem Bild eigentlich nie fertig“, bekennt er selbstironisch. „So lange es in meinem Atelier ist, habe ich Lust, daran weiter zu arbeiten.“

Mit dieser Beschreibung trifft der Künstler den Kern seiner prozesshaften Malerei, bei dem ein Bild sich als das Element eines kontinuierlichen Flusses erweist, sehr genau. In einem Bild, so scheint es, ist der Strom der Geschichten und Ideen, der sich in den sedimentartigen Ablagerungen auf der Leinwand ausdrückt, für einen Moment angehalten und geronnen. Chirea scheint es dabei weniger  um ein einzelnes, isoliertes Werk als solches zu gehen, sondern vielmehr um den Zyklus, bei dem sich die Wirkung über die Bildfläche hinaus fortsetzen lässt. Die Bildformen, die der Künstler wählt, unterstützen diese eben beschriebene Wirkung. Ditychen, Tritychen und Poliptychen sind  keine Seltenheit. Neu sind Rundbilder, wie sie von der Renaissance und der Barockzeit her bekannt sind. Solche Formen haben für Chirea nicht nur Bedeutung als kunstgeschichtliches Zitat, sondern auch als inhaltliche Komponente. Er geht ihm offenkundig darum, auf diese Weise die Möglichkeiten seiner Gestaltungsfreiheit spielerisch auszuloten, immer wieder bereit, das eigene Schaffen kritisch zu hinterfragen und neu zu beginnen.

Bei Chireas Bilder dominieren häufig erdige Grundtöne. Er sucht dabei bewusst die Nähe zu verwittertem Graffitti oder zur Frescomalerei und anderen Zeugnissen von künstlerischen Spuren, die durch die Zeit und durch die Wirkung der Elemente angegriffen wurden. Der Betrachter erkennt Andeutungen von Landschaften, silhouttenhafte Figuren, kalligraphische Züge, Körperlinien und Interieurs, die sich in einem unterschiedlichen Grad der Deutlichkeit auf der Leinwand verdichten. Wird eine Form dabei allzu klar, so wird sie im folgenden Arbeitsprozess verwischt, verfremden und in dieser verwandelten Form neu in das Gesamtbild integriert. Obwohl es auf den ersten Blick so scheint als verlasse sich Chirea hier ganz auf den Zufall, so folgt er dabei doch einer inneren Notwendigkeit.